Schreibmaschine
Wie sehr bedauere ich, dass einmal mehr das Kriegsgeschrei gewinnt
gegen die Stimme des Erzählers, die uns Ruhe schenken könnte.
(Olivier de Thermes, Der Junge und der, der wiederkommt)

Der Junge und der, der wiederkommt

Roman, Worte Taten Verlag, 360 Seiten, 16,99 €

Zitate

„…Wenn ich daran denke, was er uns erzählte, waren sie damals in einem Punkt ähnlich drauf wie wir heute. Sie liebten Geschichten von Superhelden. So wie wir Batman, Superman, Jedi-Ritter oder die Starks, hatten auch sie ihre Heroes. Für Leon war es Parzival. Der war der Sohn eines mächtigen Königs, wußte aber nichts davon. Seine Helikopter-Mama verheimlichte es ihm, damit er nicht auf dumme Gedanken käme und in den Krieg zöge. Bildung gab es für ihn nicht. Je dümmer, desto sicherer, glaubte sie.

Doch der Schuss ging nach hinten los. Denn der Junge war zwar doof, aber stark wie Hulk; und als er als Jugendlicher einmal ausbüxte, traf er per Zufall auf einen Ritter, den er gleich dumm ansprach, sowas in der Art wie:
‚Ey Alter, was bist du für einer? Und hast du geile Klamotten.’

Wie Ihr Euch vorstellen könnt, kam das nicht gut an bei dem stolzen Reiter, dessen Rüstung golden in der Sonne glänzte. Damals fackelten sie nicht lange, und der Ritter beschloss, ihn zur Strafe für den mangelnden Respekt gleich vor Ort abzustechen. Versucht hat er es, geklappt hat es nicht. Am Ende haute ihn Parzival mit einem billigen Knüppel um. Ohne Mama Bescheid zu sagen, warf er sich die Rüstung über, nahm das Pferd und ritt ab in Richtung Sonnenuntergang….”

„…Die Behauptung, sie wären Ketzer, sei nur ein Vorwand, um ihr Land zu erobern, sagte de Termes. Und schon lange trachteten die Feinde danach, sie zum Teufel zu jagen, zu dessen Anhängern sie sie kurzerhand erklärten, um den Kampfgeist der eigenen Truppen anzufachen. Mit Erfolg, wie man an dem jungen Ritter sehe. Leon war nicht überzeugt, verwies auf die Augenzeugenberichte, deren zufolge sie Knaben zur Speise auftischten.

Der Burgherr erwiderte, es seien Geschichten: erfunden, um ihre Vernichtung zu rechtfertigen und ob Leon sich nicht fragte, warum sie ihn nicht den Geiern zum Fraß vorgeworfen hätten. Das könne ja noch kommen, antwortete unser Freund. Doch de Termes schüttelte nur den Kopf. Der junge Mann sei offenbar der Propaganda der Päpstler aufgesessen.

Zumindest sinngemäß drückte er sich so aus, mit diesem Wort, das gängig ist, um zu beschreiben, dass Behauptungen Verbreitung finden, ohne die Interessen dahinter zu sehen, die keinen Widerspruch dulden, wenn es um die angeblich eine Wahrheit geht. Propaganda: dass die Südfranzosen den Teufel anbeten, der Papst der Gute sei oder ein Virus der Anti-Christ; und die man glaubt, jeder eigenen Logik zum Trotz, selbst auf die Gefahr hin, dabei vor die Hunde zu gehen. Es gab zwar weder Fernsehen noch Zeitungen, Internet und soziale Medien. Doch Verbreitung fanden falsche Wahrheiten auch damals schon…”

Der Protagonist

Leonhard war glücklich, unabhängig davon, dass kein Herz in ihm schlug, kein Blut in seinen nicht vorhandenen Adern floss und ihn keine Muskeln zusammenhielten, dass ihm also rein anatomisch alles fehlte, was viele als Voraussetzung solcher Empfindungen ansehen würden. Wer mit ihm allerdings darüber hätte diskutieren wollen, dass er vom wissenschaftlichen Standpunkt weder existieren noch Gefühle entwickeln konnte, hätte schon verloren, allein weil jener dadurch, dass er mit ihm sprach, eingestand, dass dieser nicht nur in der Fantasie von Kindern, Alten und Verrückten existierte.

Der Widersacher

Es war gute Familientradition, anderen etwas wegzunehmen und es dem eigenen Vermögen einzugliedern, ohne Spuren zu hinterlassen. Und so verhielt es sich auch mit dem Schriftstück, das Cacfere in einem der alten Bücher gefunden hatte. Es ließ ihn vor Gier erschaudern.

Was zur Sprache kommt

Leon war sozusagen nackt, sofern das für ein Skelett eine zutreffende Bezeichnung sein kann. Anzug und Hemd jedenfalls hatte er ordentlich auf den Tisch gelegt.

„Dem Rocke wohnt der Adel inne.
Feiner Zwirn den Mensch zu Anstand zwinge“, reimte er.

Ich wies ihn an, sich auf den Stuhl zu setzen und meine Antwort zu vernehmen:

„Du schockst mit den Knochen,
sehn aus wie erbrochen.
Doch wir pimpen den Style,
und so gehst du steil.”